Das Fenster zur Kunst
Das #nrwzeigtkultur-Projekt in Siegen
Von Anke von Heyl
Von Anke von Heyl
Kongeniale Präsentationen künstlerischer Arbeiten im Schaufenster des Haus Seel bringt Kunst unter die Menschen.
Siegen ist mit ca. 100.000 Einwohnern eine Großstadt, dazu noch Universitätsstadt. Und doch lag sie für mich immer ein wenig ab vom Schuss der Kunstmetropolen beispielsweise im Rheinland oder auch Hessen. Dass dies nicht zum Nachteil geraten muss, zeigt eine kleine, aber sehr feine Ausstellungs-Reihe des Kunstvereins Siegen, auf die ich heute einen Blick werfen will.
Es hat sich in Siegen in den letzten Jahren ein erfreulicher Schwerpunkt für die zeitgenössischen Kunst etabliert. Mit dem 2001 eröffneten Museum für Gegenwartskunst beispielsweise, welches vor allem für seinen Fotoschwerpunkt mit Arbeiten von Bernd und Hilla Becher über die Stadt hinaus bekannt ist. Auch der Kunstverein Siegen trägt dazu bei, der sich um die junge Kunst verdient gemacht hat und spannende junge Talente der deutschen Kunstszene nach Südwestfalen holt.
Fehlende Räume für Kunst sind allerdings hier wie in vielen anderen (und auch größeren) Städten ständig ein leidvolles Diskussionsthema. Auch der Kunstverein Siegen musste sich an verschiedenen Standorten in der Stadt behaupten und unter den Bedingungen der Pandemie ist es nicht einfacher geworden Kunst zu zeigen. Da hat es sich als eine geniale Lösung erwiesen, zwei Schaufenster des Haus Seel für die Präsentation moderner Kunst nutzbar zu machen.
Screenings – der Titel der neuen Ausstellungsreihe verweist auf eine Reihe von u.a. Videoarbeiten, die in zwei Schaufenstern des Haus Seel am Markt mitten in der Innenstadt Siegens Einzug hielten. Das Haus Seel beherbergt mehrere städtische Einrichtungen wie z.B. die Städtische Galerie, zu der die beiden Fenster normalerweise gehören. Aber in schöner kollaborativer Manier wird nun die Zeit genutzt, in der diese Schaufenster leer stehen.
Der erste Künstler, der die Schaufenster bespielen durfte, war Alwin Lay. Er studierte bei Christopher Williams in Düsseldorf und an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Der in Rumänien geborene Lay arbeitet mit Fotografie und Video im Rahmen von Installationen und Skulpturen. Er ist ein genauer Beobachter von Subjekt-Objekt-Beziehungen und lenkt die Blicke der Betrachtenden durch die Wahl der Ausschnitte auf oft überraschende Assoziationen.
Sein Ansatz, den er für die Screenings nutzt, spielt ein bisschen mit Sehnsüchten, Wünschen und Erwartungen urbaner Bildwelten. Der schnelle Schritt eines männlichen Protagonisten auf dem roten Teppich bringt einen automatisch dazu, den Kontext zu imaginieren. Und im nächsten spielt der Künstler mit Objekten, die im weitesten Sinne einer maskuline Lebenswelt entstammen könnten. So entspinnt sich zwischen den beiden Fenstern eine spannende Geschichte. Eine Geschichte, die sich auch für die Menschen vermittelt, die an diesem Ort vorbeischauen.
Überhaupt scheint das Konzept aufgegangen, Kunst in den Stadtraum zu den Menschen zu bringen. Jennifer Cierlitza, Geschäftsführerin und Kuratorin des Kunstvereins Siegen berichtet von positivem Feedback der Siegener. Die Präsentation läuft Tag und Nacht, die Begegnung mit der Kunst erfordert keine besonderen Vorbereitungen. Sie wird ganz selbstverständlich in den Alltag integriert. Was kann man sich mehr wünschen?
Es muss eben nicht immer der White Cube sein. Vielmehr gibt es zahlreiche Gründe, diesen zu verlassen, einer davon sind die unsichtbaren Hemmschwellen, die für viele Menschen existieren, wenn sie eine Galerie oder ein Museum betreten sollen. Vielleicht ist die Präsentationsform der Screenings eine Chance, solche Barrieren abzubauen und auf die vorurteilsfreie Betrachtung der Kunst zu setzen. Mir hat übrigens besonders gut gefallen, dass klar und deutlich auch die Künstlernamen und der Titel sowie Urheber der Präsentation zu lesen ist. Solche Dinge werden schon mal gerne als selbstverständlich vorausgesetzt oder man muss sie mühsam im „Kleingedruckten“ herausfinden.
Zwei Schaufenster sind natürlich ein sehr begrenzter Raum, der auch in seiner Wirkung nur einen entsprechenden Radius entfalten kann. Das wird aber genau da zum Vorteil, wo sich die Künstler*innen mit der Umgebung auseinandersetzen und entsprechende Wirkungen einkalkulieren können.
Wo Lay auf die Sehgewohnheiten der Werbeästhetik aufsetzt, hat die Künstlerin Wagehe Raufi einen ganz anderen Ansatz gewählt. Genau hier liegt für mich auch der Reiz der Screenings, die mit unterschiedlichen Künstler*innen in immer dem gleichen Rahmen auch eine wunderbare Möglichkeit zur Kunstbetrachtung bieten. Man kann vergleichen und lernt über die unterschiedlichen Positionen viel über die aktuelle Kunstszene – Kunstvermittlung im besten Sinne also.
Wagehe Raufi zeigte eine ungewöhnliche Multimedia-Präsentation mit dem Namen Mammoth (Mammut). Ungewöhnlich ist auch das Material, mit dem sie die Schaufenster-Scheibe besonders bearbeitet hat: Buttermilch macht die Video-Projektion direkt auf das Glas möglich. Raufi, die schon eine Bauhaus Residency erhalten hat, bewegt sich zwischen analogen und digitalen Bildern schlafwandlerisch hin und her und erzeugt in den beiden Fenstern ganz neue Welten. Die Idee des Dioramas ploppt auf, das man als eine Frühform virtueller Realitäten bezeichnen könnte. Eigentlich passt das perfekt zu den Bestimmungen von Schaufenstern und Wagehe Raufi hat diese Funktion des Ortes in ihr künstlerisches Konzept mit einbezogen.
Aber was ihre Installationen dann auslösen, ist weit entfernt von dieser reinen Repräsentation von Ausstellungsstücken. Man wird geradezu magisch angezogen und schwankt zwischen Faszination und Irritation. Was sehen wir? Was erkennen wir? Welche Oberfläche? Welches Material? Die Künstlerin experimentiert mit unterschiedlichen Erscheinungsformen und transportiert nahezu immersive Erlebnisse mit ganz speziellen Artefakten. Einerseits wirken sie wie aus Urzeiten zu uns heraufgestiegen. Andererseits sind es computergenerierte Bilder, die keine Entsprechung im realen Leben haben. Wir können uns als Betrachter*innen auf nichts außerhalb dieser Repräsentation beziehen und machen eine ganz einzigartige Erfahrung vor diesen beiden Fenstern, die sich mit nichts vergleichen lässt.
Nach dem beiden ersten Screenings-Präsentationen kann man sagen, dass diese neue Art der Kunstausstellung erfolgreich angenommen wurde. Und es ist sehr zu begrüßen, wenn es weiter geführt werden könnte. Es entstehen hier nämlich nicht nur spannende Vor-Ort-Interventionen mit Kunst, sondern es hat sich auch in Zeiten der Pandemie-Beschränkungen ein neues Ritual der Kunstbetrachtung etabliert. Das Spazierengehen zur Kunst im öffentlichen Raum scheint für lange Zeit eine wunderbare Form, überhaupt in den Genuss künstlerischer Arbeiten zu kommen. Dazu motiviert die Belebung der Innenstadt mit wechselnden Ausstellungen, die immer wieder neue Impulse für die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst bieten. Die beiden Screenings wurden vom Kultursekretariat NRW Gütersloh gefördert und hier wird man diesen niederschwelligen Zugang zur Kunst gern gesehen haben. Auch in Social Media konnte der Kunstverein Siegen mit den Screenings punkten, eine Resonanz, die sich sicher auch noch weiter ausbauen ließe. Wenn sich etwa die Siegener aufgefordert sehen, ihre Kommentare und auch Bilder von den Screenings zu teilen. Ich werde auf jeden Fall weiter meine Augen aufhalten und bei nächster Gelegenheit gerne nach Siegen reisen.