Ein videographisch tänzerisches Performance-Projekt
Samstagmorgen an der Akademie Mont-Cenis, der Fortbildungsakademie des Innenministeriums NRW, in Herne-Sodingen: Die Sonne scheint durch die Bäume im kleinen Wäldchen auf dem ehemaligen Zechengelände. Petra und Sophie sind froh: Sie hatten befürchtet, dass die Filmaufnahmen drinnen stattfinden müssten. „Dann hätten wir unsere Bäume nicht gehabt.“ Jetzt können Großmutter und Enkelin (5) ihre tänzerische Performance wie geprobt aufführen. Christoph Deutsch an der Kamera strahlt Ruhe aus. Rahel Steffen, die Tanzpädagogin, startet die Musik.
Oma und Enkelin beginnen sich zwischen vier Bäumen zu bewegen. Raumgreifend drehen sie sich aufeinander zu, voneinander weg. Ein vorsichtiges gegenseitiges Erkunden beim Luftmalen, Äffchensein, Radschlagen und Versteckspielen hinter den Bäumen. „Toll, dass ihr so ein Projekt ins Leben gerufen habt!“, sagt Petra begeistert, nachdem die Aufnahmen im Kasten sind. Selbst das Harz der Bäume an den Händen hat bei den beiden Tänzerinnen die Freude an der Bewegung nicht geschmälert. „Wahre Filmstars stört das nicht!“, kommentiert Petra. Sie habe das Projekt von Anfang an spannend gefunden und Sophie hätte dazu erst gar nicht überredet werden müssen. „Sie ist ganz oft bei uns, wir gehen zusammen ins Schwimmbad und verbringen viel gemeinsame Zeit miteinander“, so Petra.
Die beiden nehmen am Tanz-Video-Projekt „Erzähl mir von dir“ teil. „Du bewegst oder tanzt gerne und möchtest kreativ werden? Du hast eine Oma oder einen Opa mit dem du tanzen und kreativ werden möchtest? Du hast ein Enkelkind mit welchem du dich bewegen, tanzen und ein Tanz-Video Projekt gestalten möchtest?“ – so lautete der Aufruf zu Beginn des Jahres 2020 in der Presse, dem fünf Duos bestehend aus Großmutter und Enkelin gefolgt sind. Vier davon sind bis zum Ende dabei geblieben.
Auch Christa und ihre neunjährige Enkelin Sophie gehören dazu. Christa ist mit 81 Jahren die älteste Teilnehmerin. „Meine Tochter hat mich gefragt, ob ich mir das vorstellen kann, bei ‚Erzähl mir von dir‘ mitzumachen“, erzählt Christa. „Fürs Tanzen bin ich immer zu haben!“, ergänzt sie und berichtet, dass sie ihre Enkelin schon als Säugling betreut habe und sie ihre enge Bindung zueinander bis heute bewahren konnten. Christa geht zum Seniorentanz und wird öfters von Sophie begleitet, die dann auch gerne mittanzt. Die beiden entscheiden sich für das architektonisch einzigartige Akademiegebäude aus Glas und Holzfachwerk, um dort ihre Performance filmen zu lassen. Das Thema ist die „Jonglage“, denn sie jonglieren gerne miteinander. Doch die pantomimisch-tänzerische Umsetzung ist für sie ungewohnt. „Diese Art ist etwas ganz Neues für uns“, sagt Christa. Sophie nickt zustimmend und erzählt, dass sie nicht nur gerne tanzt, sondern auch mit Begeisterung klettert und bouldert.
Das Projekt „Erzähl mir von dir“ baut eine Brücke zwischen den Generationen. Gemeinsam erforschen die Teilnehmenden, was ihre Beziehung ausmacht. „Die Bewegungen erzählen über die Paare, wie sie sind, was sie mitgebracht haben“, berichten Rahel Steffen und Heidemarie Deutsch, die die Tanzduos künstlerisch begleiten. Als Basis dienten die Arbeit in Kleingruppen und ein Steckbrief, den alle Teilnehmenden im Vorfeld ausgefüllt haben. „Über die gemeinsame Arbeit im Projekt begegnen sie sich noch einmal ganz anders und können neue Erfahrungen miteinander zu teilen.“
Rahel Steffen verrät: „Ich hatte immer mal wieder das Thema ‚Großeltern und Enkel‘ im Kopf.“ Im Juni 2019 habe sie dann begonnen, Anträge zu schreiben. „Im Laufe der Zeit entwickelte sich das Projekt zu einem Tanz-Video-Projekt mit mehreren Kooperationspartnern und Förderern“, sagt die Tanzpädagogin. So kooperieren die Landesarbeitsgemeinschaft Tanz NRW mit dem ENSAMPLE und werden vom Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration NRW sowie von der Kulturinitiative Herne gefördert. „Der Video-Part des Projektes ist im Rahmen von #nrwzeigtkultur entstanden – einer Förderreihe analog-digitaler Kunstprojekte des Kultursekretariats NRW Gütersloh, gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW“, erklärt Rahel Steffen.
In dieser Konstellation ließ sich das Projekt mit seinem besonderen Format an die aktuellen Gegebenheiten anpassen. Die einzelnen Tanzduos konnten zunächst unabhängig voneinander arbeiten, sich in einem kontaktlosen Austausch kennen lernen und inhaltlich in das Thema einsteigen. Erste Bewegungen, Texte und Bilder entstanden in den Kleingruppen und gingen im gemeinsamen Prozess in eine tänzerische Gestaltung über. Dabei wurden bei allen Treffen die Auflagen der Corona-Schutzverordnung eingehalten.
Die Kombination aus den im Umfeld und in der Akademie Mont-Cenis entstandenen Tanz-Videos mit Live-Elementen mündete in eine persönliche performative Video-Präsentation. Sie feierte am 31. Oktober 2020, unmittelbar vor der erneuten Absage sämtlicher Kulturveranstaltungen für den November, in einem kleinem internen Rahmen ihre Premiere. „Wir sind sehr dankbar, dass wir diesen Abschluss und überhaupt dieses Projekt in diesem Jahr umsetzen konnten“, freut sich das ENSAMPLE-Team. Es sei eine große Freude zu sehen, wie diese beiden Altersgruppen etwas gemeinsam entwickeln, und ihr Miteinander einfach zu erleben.