Die Vereinigung internationaler Kuratoren zeitgenössischer Kunst diskutierte im Marta Herford über eine besondere Verantwortung im Hinblick auf das Thema Nachhaltigkeit. Das Kultursekretariat NRW Gütersloh beteiligte sich als Kooperationspartner an dem Virtual IKT Meeting. Ein Bericht von Anke von Heyl.
Am 17. und 18. Oktober trafen sich über 200 Teilnehmende aus mehr als 30 Nationen bei einem Meeting, für das ursprünglich alle nach Herford ins Museum Marta gereist wären. Jetzt traf man sich online und auch das Thema wurde an die aktuelle Situation von Kultur in Zeiten von Corona angepasst. Marta-Direktor Roland Nachtigäller und sein Team bereiteten dem Netzwerk internationaler Kuratorinnen und Kuratoren zwei Tage lang eine Online-Plattform, auf der sie nicht nur über das Thema Nachhaltigkeit diskutieren, sondern sich auch über die schwierige Situation in Zeiten von Corona auszutauschen konnten.
Die Veranstaltung war für alle Beteiligten ein Experiment und das Marta Herford hatte die herausfordernde Aufgabe, die Reise einmal um die Welt mit den ganzen verschiedenen Schalten in die jeweiligen Länder zu organisieren. Dass das nicht einfach würde, war allen klar. Am Ende war man aber mehr als zufrieden mit dem Ergebnis! Nicht zuletzt wurde damit auch ein Exempel dafür abgegeben, wie man sich sehr gut miteinander vernetzen und austauschen kann, ohne dass alle aus allen Winkeln der Erde herfliegen müssen. Ein nicht zu unterschätzender Pluspunkt für Online-Veranstaltungen – gerade im Hinblick auf das zu besprechende Thema.
Und was nachhaltiges Kuratieren bedeutet, vor welchen Herausforderungen man einerseits steht, welche spannenden Lösungen es aber auch im Bereich der Präsentation zeitgenössischer Kunst bereits gibt, das konnte man an diesen beiden Tagen auf beeindruckende Weise verfolgen.
Kuratorinnen und Kuratoren in Zeiten der Covid-19-Pandemie
Das Meeting begann mit einer Reihe von kurzen Inputs, zu denen Kuratorinnen und Kuratoren aus aller Welt eingeladen waren. Sie sprachen über ihre ganz persönliche Situation in Zeiten von Corona. Das Fazit aus diesen 5-Minuten-Insights: Alle haben ihre Online-Aktivitäten in dieser Zeit deutlich erhöht. Aber auch gelernt, mit Kollaborationen Neues auszuprobieren. So wurde z.B. in Australien auf partizipative Projekte gesetzt oder in Kolumbien eine spannende Partnerschaft mit einer Zeitung eingegangen, die jede Woche zwei Kunstwerke präsentiert hat. Die mentale und finanzielle Unterstützung von Künstlerinnen und Künstlern spielte für alle hier sprechenden Kuratorinnen und Kuratoren eine zentrale Rolle. Julien Robson, Direktor der Great Meadows Foundation berichtete zum Beispiel von Micro-Stipendien für Künstler*innen und betonte, dass sich nicht zuletzt auch in der Krisenzeit eine neue Solidarität in der Kunstszene entwickelt habe.
Die schwierige Situation der Pandemie habe auch die Art der Kunstbetrachtung völlig verändert, sagte Nahela Hechavarría Pouymiró aus Kuba. Und man müsse das auch stärker reflektieren, wenn es darum ginge, zukünftig Kunst auszustellen.
Impulsvortrag mit Lösungsvorschlägen
Die über 90 Teilnehmenden des Online-Meetings trafen sich zusätzlich noch in Arbeitsgruppen, um sich auszutauschen und am Ende des ersten Tages gab es einen bemerkenswerten Impulsvortrag von Till Briegleb, der sich um die Klimabilanz des Kulturbetriebs drehte. Dem ursprünglichen Titel „Consequence Paralysis“ hatte Briegleb kurz vor der Tagung noch ein hoffnungsfrohes „und wie man sie heilen kann“ angefügt. Dieser Vortrag legte den Finger nicht nur in die Wunde der offensichtlichen Probleme der Umsetzung von Nachhaltigkeit im Kunstbetrieb, sondern blickte auch auf die Stellschrauben für einen notwendigen Veränderungsprozess.
Es war nicht überraschend, dass die aktuelle Praxis sehr kritisch zu sehen ist. Spannend war aber vor allem auch die Unterfütterung mit Daten aus einer Umfrage des ART Magazins. Im September hatte Briegleb dort nämlich seine Umfrage zur Nachhaltigkeit im Museum veröffentlicht. Die Tatsache, dass viele Häuser erst gar nicht in der Lage waren, entsprechende Daten beizusteuern, machte klar, dass es vor allem an einem Bewusstsein für den Ernst der Lage fehlt.
Briegleb begann seinen Vortrag übrigens mit einer interessanten Anekdote, die ein passendes Bild für das Dilemma lieferte: Die Istanbul Biennale 2019 hatte den Titel „Der siebte Kontinent“ – eine Metapher für den riesigen schwimmenden Plastikmüll-Berg im Pazifik und klarer Appell, sich auch in der Kunst mit dem Klimawandel auseinanderzusetzen. Briegleb beobachtete während der Pressekonferenz zur Veranstaltung, wie die an die Besucher*innen ausgegebenen Plastikbecher in den Bosporus flogen und dort ein absurdes Parallelbild abgaben. „Für mich steht dieses Bild der tanzenden Plastikbecher auf den Wellen aber exemplarisch für die schmutzigen Stuben des gesamten Kulturbetriebs, wenn es um das Thema ökologische Vernunft geht. Man praktiziert nicht, was man predigt.“
Wolle man es tatsächlich angehen, einen besseren ökologischen Fußabdruck für die Museen und Biennalen hinzubekommen, müsse man sich nicht nur die Summe der Flüge angucken, die für Ausstellungen und Großevents gezählt wird, sondern beispielsweise auch die gängige Praxis in Cafés und Restaurants das Publikum mit Fleischgerichten zu locken. Besonders letzteres macht deutlich, dass es um eine generelle Haltung und auch um die Übernahme von Verantwortung geht.
Als Ergebnis vieler Gespräche mit Kurator*innen und Künstler*innen machte Briegleb am Ende seines Vortrags noch sechs ganz konkrete Vorschläge, wie die „Konsequenzlähmung“ zukünftig überwunden werden könne. Neben dem Appell, mit regelmäßigen Berichten eine Daten-Grundlage für Veränderungsprozesse zu schaffen, legte er vor allem den Fokus auf ein neues Mindset. Das müsse sich vom üblichen Wettbewerbs-Prinzip abwenden und andere Prioritäten setzen. Es erinnerte stark an „think global act local“ und dieser Gedanke wird sicher schon in den Köpfen Einzelner vorhanden sein. Aber Briegleb weiter: „So lange jeder für sich alleine in seiner Institution versucht, kleine Rädchen zum Positiven zu drehen, muss er oder sie verzweifeln. Hier hilft nur vernetztes Handeln.“ Till Briegleb setzte diesbezüglich seine Hoffnungen auch in Organisationen wie die des IKT.
Der erste Tag des virtuellen Meetings ging also mit vielen Erkenntnissen darüber zu Ende, wo sich etwas verändern muss. Und dass dies unter Umständen komplex sei und wehtun könne. Aber es schwang in der Keynote auch eine Menge Optimismus mit, der im Übrigen während des gesamten Treffens zu spüren war. Auch was die Online-Präsenz anging, hatte man den Eindruck, dass die Relevanz der angesprochenen Themen und der Austausch einmal rund um den Globus eindeutig als positiv empfunden wurde. Der sonst in Remote-Meetings schnell mal wegen fehlender Nähe aufkommende Frust war gar nicht so präsent, wie man vielleicht erwartet hätte.
Gute Beispiele kuratorischer Praxis
Mit dem Input von Thomas Oberender am zweiten Tag konnte direkt mit einem spannenden Praxis-Beispiel an das angeknüpft werden, was die Keynote den Kuratorinnen und Kuratoren ins Aufgabenheft geschrieben hatte. Der Intendant der Berliner Festspiele deklinierte einmal durch, welche alternativen Wege seine Institution im Hinblick auf das Thema Nachhaltigkeit in der Vergangenheit bereits gegangen ist. Unter anderem wurden relevante Entscheidungen gefällt: Flüge für die Projektvorbereitung fielen weg, auf Objekte, die Strom benötigen, wurde gänzlich verzichtet und man erwog zudem Alternativen zu Originalen in Ausstellungen. Thomas Oberender berichtete von der Praxis, Ausstellungsmodule zu recyceln oder bei Ausstellungspublikationen alte Ausstellungsplakate für den Druck zu nutzen. Sicher ein Best Practice ist der Pool der Kulturveranstaltungen des Bundes, in welchem gebrauchte Dinge aus dem Kulturbereich verwaltet werden. Der Vortrag endete mit einer Reihe an Impulsfragen für die weitere Diskussion. Besonders die nach der positiven Bewertung von Veränderung könnte im Kulturbereich zu einer erdrutschartigen Bewegung führen, wenn man sie mit guten Argumenten beantworten kann.
Zu Oberenders Input gesellten sich noch die Perspektiven von Lucia Pietroiusti und Farid Rakun. Pietroiusti, die als Curator of General Ecology in der Londoner Serpentine Galleries wirkt, war u.a. verantwortlich für den erfolgreichen litauischen Beitrag zur letzten Biennale in Venedig. Die Inszenierung von „Sun and Sea“ fußte auch auf zahlreiche Verbindungen zum Thema der Nachhaltigkeit. Schön zu erfahren, dass z.B. der dort verwendete Sand nach der Biennale zu venezianischen Kinderspielplätzen gebracht wurde. Pietroiusti betonte noch einmal, wie wichtig das Zusammenarbeiten über verschiedene Disziplinen hinweg auch im Sinne der Nachhaltigkeit sei. Für sie sei auch ein kulturpolitisches Engagement wichtig, wenn es darum gehe, die Strukturen zu verändern.
Mit Farid Rakun gab es einen ersten Einblick in das Konzept für die kommende Documenta, die 2022 stattfinden wird. Rakun ist Teil des indonesischen Künstlerkollektivs Ruangrupa, das die künstlerische Direktion der Documenta übernehmen wird. Auf der Website des Kollektivs ist deren kuratorische Idee für das Großevent so beschrieben: „Wenn die documenta 1955 ins Leben gerufen wurde, um Kriegswunden zu heilen, warum sollten wir die documenta 15 nicht auf die Verletzungen von heute konzentrieren, insbesondere auf solche, die im Kolonialismus, Kapitalismus oder in patriarchalischen Strukturen verwurzelt sind, und sie mit partnerschaftlichen Modellen kontrastieren, die es den Menschen ermöglichen, eine andere Sicht der Welt zu haben.“ Man darf auf den Weg dorthin und vor allem auf die Ideen, alles nachhaltig anzulegen, sehr gespannt sein. Farid Rakun betonte die Verantwortung solcher Events wie der Documenta, den Blick auf die unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen in der ganzen Welt zu richten. Auch das bedeute Nachhaltigkeit.
Stimmungsbild und Ausblick
Die dichten Inputs des virtuellen Meetings der internationalen Kuratorinnen und Kuratoren wurden in anschließenden Diskussionen weiter beleuchtet und am Ende ergab eine interne Umfrage ein sehr spannendes Meinungsbild der Teilnehmenden. Marta-Kuratorin Friederike Fast präsentierte die Ergebnisse, von denen einige vielleicht erwartbar waren (96 Prozent denken, dass Kunst die Gesellschaft verändern kann), andere bestimmt auch überrascht haben (70 Prozent halten einen lokalen Fokus für Kunstausstellungen für eine gute Idee). Aus der Umfrage können mit Sicherheit interessante Ideen weitergetragen werden. Wie zum Beispiel die, Biennalen auf Tournee zu schicken oder die Anzahl der Flüge für Projekte zu halbieren.
Friederike Fast appellierte an die Kolleginnen und Kollegen, jetzt mit einer Haltung zur Selbstverpflichtung zu beginnen. Aus der Sicht der Kulturförderung sprach sich in der Abschlussrunde auch Antje Nöhren vom Kultursekretariat NRW Gütersloh für neue Perspektiven aus, für die sie aus dem Meeting zahlreiche Impulse mitgenommen habe.
Das, wie jede(r) Einzelne durch dieses Meeting inspiriert und motiviert wurde, ist sicher individuell verschieden. Aber ein Zitat aus der Rede von Briegleb wird vielleicht für alle gelten: „Kooperation als Leitgedanke kann in vielen Bereichen, vom Reisen bis zur Ausstellungsarchitektur, zu Alternativen anregen, die Ressourcen schonen und vielleicht auch neue kuratorische Konzepte ergeben.“