Im Zentrum von Lekys Roman, der sich ganze 65 Wochen lang auf der Spiegel-Bestsellerliste hielt, steht Selmas Traum von einem Okapi.
Luise lebt in einem kleinen Dorf, das Heimat und Refugium für eine Schar liebenswert-skurriler Menschen ist, deren Leben untrennbar miteinander verknüpft sind. „Ihr müsst dringend mehr Welt hereinlassen“, insistiert Luises Vater ausdauernd. Aber diese Dorfgemeinschaft ist doch schon die Welt im Kleinen und dicht bevölkert: Von Luises Mutter, die sich seit 25 Jahren täglich fragt, ob sie sich von ihrem Mann trennen soll. Von der abergläubischen Elsbeth und ihrer Vorliebe für geheime Tagebücher, der eigensinnigen Marlies mit ihrem kalten Kartoffelbrei und Martins trinkendem Vater Palm, der über Nacht unerwartet religiös wird. Von Martin, der mit dem Rücken zur Zugtür alle vorbeifliegenden Wegmarken aus dem Gedächtnis abrufen kann. Und vom Optiker, der seine über hundert Liebesbriefe an Selma seit Jahrzehnten nicht beendet. Als jene Selma eines Nachts wieder von einem Okapi träumt, scheint ausgemacht, dass innerhalb von 24 Stunden jemand sterben wird. Denn immer, wenn Selma von diesem abwegigsten aller Tiere träumt, wird jemand aus dem Leben gerissen.
Es bleibt ein Tag, um Ungesagtes in die Welt zu schreien, Geschehenes wieder einzufangen und Geträumtes zum Leben zu erwecken. Ein Tag, an dessen Ende sich die Welt weiterdreht. Die ganze Welt minus eins. Und dann kommt der junge buddhistische Mönch Frederik aus dem Nichts. Eigentlich aus Hessen, aber das ist ungefähr dasselbe. Die Welt wackelt, beschleunigt, ändert ihren Kurs und Luise tut die ganze Zeit nichts anderes, als Frederik nicht zu küssen.
Mariana Lekys erst jüngst verfilmte und in über 20 Sprachen übersetzter Erzählung ist ein Phänomen. Berührend, witzig und traurig zugleich ist sie ein wort- und ideenverspieltes modernes Märchen – einfach und lebensnah erzählt und gleichzeitig voller Alltagspoesie und Liebe. „Mitten im Hier und Jetzt statt wie sonst im Wenn und Aber.“
Foto: Burghofbühne Dinslaken, Martin Büttner